Informationen rund ums Thema Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrags
Oftmals wünschen Eltern von Ihren Kindern einen Pflichtteilsverzicht, um größtmögliche Planungsfreiheit für Ihren Nachlass zu erhalten.
Motivation kann z.B. die Absicherung des Lebenspartners sein oder aber ein sich „Auseinanderleben“. Da ist der Pflichtteilsanspruch vielen ein Dorn im Auge. Gemäß § 2346 ff. BGB können Erblasser und Pflichtteilsberechtigter einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag schließen. Der Pflichtteilsverzicht stellt dabei einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Teilhabe am Nachlasses für den Berechtigen dar, und sollte gut durchdacht sein. Vielen Kindern fällt es zudem schwer, den eigenen Eltern Wünsche abzuschlagen bzw. zu widersprechen. Umso größer ist die Verantwortung des beurkundenden Notars, der die Kinder über die Folgen eines Pflichtteilsverzichts aufklären muss. Denn Kinder, die sich auf einen Pflichtteilsverzicht einlassen, gehen das Risiko ein, im Erbfall komplett leer auszugehen.
Dabei können die Umstände des Zustandekommens eines Pflichtteilsverzichts sittenwidrig nach § 138 BGB sein und die Unwirksamkeit zur Folge haben. Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts ist jedoch auf wenige Ausnahmefällen beschränkt. Denn grundsätzlich kann man auf seinen Pflichtteil – auch ohne Gegenleistung – bei Einhaltung der Formerfordernisse verzichten.
Nachdem es viele Jahre kaum Entscheidungen zu den Voraussetzungen der Unwirksamkeit eines erklärten Pflichtteilsverzichts wegen Sittenwidrigkeit gab, hat die Rechtsprechung gleich mit 2 aktuellen Entscheidungen etwas Klarheit schaffen können.
Urteil des OLG Hamm vom 08.11.2016, AZ. 10 U 36/15
Das Oberlandesgericht in Hamm hatte über die Unwirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts eines Sohnes aus erster Ehe zu entscheiden. Der Sohn wuchs bei der Mutter auf. Nachdem er sein Fachabitur nicht schaffte, absolvierte er bei seinem Vater, der selbständig praktizierender Zahnarzt ist ein Praktikum. Als der Vater sich einen Sportwagen ( O GT-R 35, Höchstgeschwindigkeit 320 Km/h) von einem Freund lieh, begeisterte sich der Sohn sofort für den Sportwagen. 2 Tage nach seinem 18. Geburtstag machte der Vater einen Termin bei einem Notar und versprach dem Sohn den Sportwagen, soweit er im Gegenzug auf seinen Pflichtteil verzichte. In dem Pflichtteilsverzicht hieß es u.a.:
Als Gegenleistung für die Verzichte erhält der Erschienene zu 2. den Pkw O GT-R 35 Coupé …, jedoch unter der aufschiebenden Bedingung, dass
- der Erschienene zu 2. sein 25. Lebensjahr vollendet hat und
- der Erschienene zu 2. seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2017 mit der Note 1 bestanden hat und
- der Erschienene zu 2. seine Meisterprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2021 mit der Note 1 bestanden hat.
Schon am Nachmittag nach der Beurkundung und einem kurzen Telefonat mit der Mutter reute den Sohn die Entscheidung. Er suchte sogleich den Notar auf, um den Pflichtteilsverzicht rückgängig zu machen, was nicht möglich war. Der Sohn hielt den Pflichtteilsverzichtsvertrag für unwirksam und begehrte vom Gericht die Feststellung der Unwirksamkeit:
Sittenwidrig und damit nichtig gemäß § 138 Abs.1 BGB ist ein Rechtsgeschäft immer dann, wenn es nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Folgt die Sittenwidrigkeit nicht schon allein aus dem Inhalt des Geschäfts, kann sie sich aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts, sowie der äußeren Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, ergeben. In diesem Fall sah das Gericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts als (ausnahmsweise) gegeben an und stellte die Unwirksamkeit fest.
Für eine Sittenwidrigkeit der getroffenen Vereinbarungen sprechen besonders deutlich die äußeren Umstände des Geschäftes. Hiernach hat der Vater nämlich die in erheblichem Gegensatz zu seiner eigenen Geschäftsgewandtheit stehende jugendliche Unerfahrenheit und Beeinflussbarkeit seines Sohnes zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt.
Zudem sei der Wert des Sportwagens nach etwa 7 Jahren erheblich gemindert, und die Bedingungen für den Erhalt des Wagens für den Sohn so hoch gesetzt, dass sie wohl nicht erfüllt würden. Als verwerflich sah das Gericht auch an, dass durch die Wahl des Zeitpunkts der Eindruck erweckt werden sollte, es handele sich um ein Geburtstagsgeschenk für den Sohn, obwohl die Erklärung erhebliche rechtliche Nachteile für ihn bedeutete. Auch im Übrigen habe der Vater die Unerfahrenheit des Sohnes zu seinem Vorteil ausgenutzt.
Dies folge schon aus der Wahl des Gegenstandes der in Aussicht gestellten Abfindung. Hier hat sich der Vater ersichtlich zielgerichtet die alters- und persönlichkeitsbedingte nahezu fanatische Begeisterung des Sohnes für den Sportwagen zu Nutze gemacht. Das spricht von einem Rationalitätsdefizit bei dem Sohn, das dem Vater bestens bekannt war, und das er durch die Anschaffung des Fahrzeugs im Vorfeld noch gefördert hat. Zu Recht hat das OLG Hamm hier die Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrags angenommen.
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 23.03.2018 – 6 O 6494/17
In einem weiteren aktuellen Fall sah das Gericht die Schwelle zur Sittenwidrigkeit noch nicht erreicht.
In dem zu entscheidenden Fall hatte die Tochter im Jahr 1970 früh das wohlhabende Elternhaus – der Vater war erfolgreicher Unternehmer – verlassen, um zu ihrem Verlobten und später Ehemann zu ziehen. Hierfür mussten die Eltern sie für Volljährig erklären. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Heirat erhielt die Tochter ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück, eine Wohnungs- und Wäscheausstattung.
Darüber hinaus verzichtete sie am Tag ihrer Heirat auf Ihr Erb- und Pflichtteilsrecht nach der Mutter.
Die Tochter hielt den im Jahr 1970 erklärten Pflichtteilsverzicht für unwirksam, weil er als sittenwidrig anzusehen sei. Der notarielle Vertrag sei am Tag der Eheschließung geschlossen worden; das vorangegangene Volljährigkeitserklärungsverfahren sei ihr als solches nicht bewusst gewesen. Eine umfassende Information durch den Notar über die Wirkung eines Pflichtteilsverzichts sei unterblieben. Lebenserfahrung habe die Klägerin, die die Schulzeit im Mädcheninternat verbracht und anschließend im elterlichen Unternehmen mitgearbeitet habe, noch nicht besessen. Ihre Eltern, insbesondere der Erblasser, habe die Tochter zu diesen Schritten gedrängt und generell Widerspruch nicht geduldet.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth folgte dem nicht und hielt den Pflichtteilsverzichtsvertrag für wirksam. Es bezieht sich dabei auf die Voraussetzungen, die das OLG Hamm in dem oben dargestellten Urteil aufgestellt hat.
So heißt es in dem Urteil:
„Nach diesen Maßstäben erweist sich der 1970 erklärte Verzicht und das zugrunde liegende Kausalgeschäft auch bei der gebotenen Gesamtschau (OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2016, Az. I-10 U 36/15, NJW 2017, 576, Rn. 26) nicht als sittenwidrig und nichtig.“
Weiter heißt es,
„Das Gericht kann auch nicht von einer Situation ausgehen, dass die Klägerin über die wesentlichen Umstände des von ihr abgeschlossenen Vertrags nicht vorher zutreffend informiert war (vgl. die mit der festgestellte Situation in OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2016, Az. I-10 U 36/15, NJW 2017, 576, Rn. 41 ff.; Ebenso unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem des OLG Hamm darin, dass ein Überrumpelungscharakter festgestellt werden konnte.“
Hier hat die Tochter 47 Jahre abgewartet, um die Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrags geltend zu machen und an der Erfüllung des Übertragungs- und Ausstattungsvertrags mitgewirkt und die Leistungen 1973 entgegengenommen. Darüber hinaus sprechen die Umstände nicht dafür, dass gerade die Unerfahrenheit oder Unwissenheit der damals noch sehr jungen Tochter von den Eltern bewusst ausgenutzt wurde.
Fazit:
Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag kann ausnahmsweise sittenwidrig sein, wenn das fehlende Verständnis oder Wissen oder die Unerfahrenheit des Verzichtenden bewusst ausgenutzt werden oder sich seine objektive Unausgewogenheit sich ausnahmsweise aus der mit ihm zusammenhängenden Gegenleistung ergibt. Die Hürden für eine Nichtigkeit eines vereinbarten Erbverzichtsvertrags sind sehr hoch. Der Verzichtende sollte sich daher im Vorfeld über die rechtlichen Wirkungen und Folgen eines Pflichtteilsverzichts gut informieren.